Es ist immer eine große Freude, wenn es gelingt, den Myoxocephalus Scorpius zu enttarnen, denn der bis zu 60 Zentimeter große barschartige Vertreter aus der Familie der Dickkopf-Groppen ist ein sehr dankbares Fotomotiv. Wenn die Flossen aufgestellt sind, der bullige Kopf mit dem großen Maul und die Augen in perfekter Position präsentiert werden, dann macht das Fotografieren aber so richtig Spaß! Zuweilen scheint es, als würde der Verschleierungskünstler mit seinem Blendwerk extra für uns Unterwasserfotografen posieren – ein klassische win-win-Situation. Nun denn.
Zumeist lebt der Seeskorpion angepasst in einer Umgebung, die seiner Haut- bzw. Hauptfärbung entspricht. Der am Boden lebende Jäger ist meist weiß/grau/schwarz gescheckt, so dass er zwischen Muscheln bewachsenen Flächen tatsächlich nicht auffallen kann. Dort verharrt er üblicherweise bewegungslos. Selbst in Seegraswiesen haben wir schon Seeskorpione mit passendem Tarnanstrich entdeckt – mit grünlich/weiß-meliertem Deckmantel starr auf Beute lauernd.
In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder Zeiten, in denen wir glaubten, die Seeskorpione seien vom Hausriff verschwunden, hätten den Mergelbänken in Börgerende den Rücken beziehungsweise die Schwanzflosse gekehrt. Das hätte auch durchaus so sein können, doch ist anzunehmen, dass wir die maskierten Spezialisten einfach nur nicht entdeckt haben. Tja.
Aber nun sind sie jedoch wieder zurück! Und es werden in den kommenden Jahren hoffentlich noch mehr. Die Hoffnung speist sich aus einem sehr glücklichen Umstand, der uns vor kurzem zu Hilfe gekommen ist.
Am 13. Dezember des vergangenen Jahres entdeckten wir beim Unterwasserspaziergang im Geröll kurz vor den Mergelbänken in Börgerende ein Gelege, das dem des Seehasen sehr ähnelt. Das konnte jedoch nicht sein, denn der Seehase kommt eigentlich erst im Februar an unser Hausriff, um sein Gelege zu bauen und zu bewachen. Klimawandel, Zeitumstellung, Pandemie – klar, das gibt es alles, aber dass das solche Auswirkungen haben sollte? Sehr unwahrscheinlich.
Also forschten wir im Netz und fanden heraus, dass der Tarnungs-Profi im Winter laicht und seine Eier nach der Paarung in großen Klumpen in Bodennähe legt, geschützt und gut vom Salzwasser umspült am Geröll. Nach etwa fünf Wochen sollten die Larven aus den Eiern schlüpfen – so gaben es die Fundstellen wikipedia.de und ostsee-unterwasserwelten.de her. Da wollten wir unbedingt dabei sein. Das hieß für uns, diese Entwicklung vom Tag der Entdeckung an zu begleiten und im günstigsten Fall, die geschlüpften Nachwuchs-Seeskorpione beobachten zu können. Was für Aussichten!
In den folgenden Wochen bis in den Februar hinein besuchten wir das Gelege insgesamt acht mal.
Jedes Mal waren wir begeistert davon, wie es sich weiter entwickelt hatte. An Größe, Farbe und Volumen zeigte sich, wie auch dort das Leben entsteht. Von rosé, über hellrot, saftig-rot, orange-gelb, beige und goldig-gelb bis weiß, es waren die schönsten Farben dabei, die man sich im Kontrast zum grünen Ostseewasser überhaupt vorstellen kann. Einfach divetastisch!
Dieses Gelege wurde allerdings nicht bewacht – zumindest entdeckten wir keinen Seeskorpion, der als brutpflegendes Elternteil in Frage gekommen wäre. Aber was heisst das schon bei diesem Könner des Versteckspiels? In den Eiern bildeten sich trotzdem über Weihnachten und den Jahreswechsel die ersten Strukturen der neuen Bewohner unseres Hausriffs heraus. In das Gelege zog Leben ein! Und egal wie schwierig die Bedingungen zum Abtauchen für uns gewesen sind, wir wollten dabei sein und den kleinen Seeskorpionen – direkt oder indirekt – in die Augen schauen. Das gelang Trockentauchsportfreund Torsten und mir dann auch Mitte Januar zum ersten Mal. Die Fotos konnten wir mit den richtigen Einstellungen an der Kamera (Blende 8 bis 11, Belichtungszeit 1/125 bis 1/250, ISO max. 400) sowie einer Unmenge an Licht (bis 8.000 Lumen an der Handlampe und 3.000 Lumen am Ringlicht) auf den Chip bannen und am Rechner hochaufgelöst ansehen. Was für packende Momente!
Dem Nachwuchs in seiner schützenden und gut verklebten Hülle muss an diesen Wintertagen jeweils während unseres Besuchs ein Licht aufgegangen sein. Wie das wohl ist, wenn man zwischen Geröll und Muscheln abgelegt und von Salzwasser umspült und dann alle paar Tage volle Kanne angestrahlt wird? Das müsste man auch mal beleuchten.
Übrigens ist jedes der bis zu 2.500 Eier in dem Gelege weniger als zwei Millimeter groß bzw. klein. Und ganz ehrlich, das Innenleben der Eier hätte ich mit bloßem Auge schon lange nicht mehr erkennen können. Auf den folgenden Bildern sowie in dem Video kann man die Entwicklung allerdings ganz gut verfolgen – siehe weiter unten!
Bei unserem letzten Tauchgang am 14.2.2021, fast genau zwei Monate nach der Entdeckung des Geleges, konnten wir leider nur feststellen, dass es sich zwischenzeitlich aufgelöst hatte. Ob und wie die kleinen Seeskorpione letztlich geschlüpft sind, wissen wir nicht, den Moment haben wir in diesem Jahr leider verpasst. Schade. Üblicherweise ziehen die Larven nach dem Schlüpfen zunächst ins tiefere Freiwasser, bevor sie mit zunehmendem Alter und einer Körpergröße von weniger als zwei Zentimetern dem Meer auf den Grund gehen. Hoffen wir, dass einige der Kleinen den Weg zurück an die Mergelbänke und in die Seegraswiesen vor Börgerende finden. Wir freuen uns schon jetzt darauf!
Gut gewachsen – bebilderte Chronik des Geleges // 13.12.2020 bis 24.1.2021
Tag 0 – Das Gelege bei der Entdeckung am 13.12.2020, leuchtend rot und gut geschützt am Geröll platziert. Blende f/2.2, Belichtungszeit 1/30 Sekunde, ISO 125
Tag 6 – Das Gelege beim zweiten Besuch am 19.12.2020, saftig-rot und eingemuschelt. Blende f/8, Belichtungszeit 1/125 Sekunde, ISO 200
Tag 15 – Das Gelege beim dritten Besuch am 28.12.2020, es ist etwas heller geworden und die Eier haben eine milchig-orange Färbung angenommen. Blende f/8, Belichtungszeit 1/320 Sekunde, ISO 400
Tag 18 – Kaum verändert präsentiert sich das Gelege beim vierten Besuch am Silvestertag 2020. Blende f/8, Belichtungszeit 1/250 Sekunde, ISO 400
Tag 20 – Leichte Kontouren zeichnen sich beim fünften Besuch des Geleges am 2.1.2021 ab – jetzt wird es spannend! Blende f/8, Belichtungszeit 1/250 Sekunde, ISO 250
Tag 28 – Es geht los – die Augen sind bereits beim sechsten Besuch am 10.1.2021 zu erkennen. Blende f/11, Belichtungszeit 1/250 Sekunde, ISO 400
Tag 39 – Beim siebten Besuch am 21.1.2021 präsentiert sich das Gelege in gold-gelb bis weißem Farbton. Die Insassen des Geleges sind schon erkennbar. Wahnsinn! Blende f/11, Belichtungszeit 1/250 Sekunde, ISO 400
Tag 42 – Noch sitzen sie drin. Das Gelege beim achten und damit letzten Besuch am 24.1.2021. Blende f/10, Belichtungszeit 1/125 Sekunde, ISO 125
#diveandsmile
Weitere Informationen
Gewässer: Ostsee
Art des Tauchgangs: Fotografie, after-work, Relax
Tiefe: bis 4,9 m
Wasser: 0,4 bis 3,6°C
Luft: -2 bis 13,8°C
Sichtverhältnisse: gut